
Während der Berlinale installierte der chinesische Künstler Ai Weiwei 14.000 Rettungswesten am Konzerthaus als Symbol für die Flüchtlinge, die auf ihrem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken sind.
An den Hauptpreisen ist deutlich zu erkennen: Die Berlinale bleibt auch im Jahr 2016 ihrem Ruf als das politischste Festival aller Filmfestspiele treu. Den Goldenen Bären bekam der Dokumentarfilm „Fuocoammare“ (Feuer am Meer), für den der italienische Regisseur Gianfranco Rosi ein ganzes Jahr auf der Mittelmeerinsel Lampedusa verbracht hat. Seit 20 Jahren schon sind die Bewohner dieser Insel täglich Zeugen der größten humanitären Tragödie unserer Zeit: Beim Versuch Hunger oder Verfolgung in eigenen, meist afrikanischen Ländern zu entfliehen sind schon 15.000 Menschen auf ihrem Weg nach Europa vor dieser Küste ertrunken.

Silberner Bär und Kritikerpreis Fipresci für Danis Tanović und „Smrt u Sarajevu“
Den silbernen Bären bekam der Film „Smrt u Sarajevu“ (Tod in Sarajevo), des Regisseurs Danis Tanović aus Bosnien und Herzegowina. Schon 2013 bekam er den gleichen Preis für den Film „Ein Tag im Leben eines Schrottsammlers“, in dem er auf die katastrophale Lage der Roma aufmerksam machte. Im neuen Film wird anlässlich der 100-jährigen Gedenkfeier des Sarajevo-Attentats an die klägliche Lage im heutigen Bosnien und Herzegowina erinnert. Seit der Anerkennung seiner Souveränität im März 1992, was sofort zu einem dreijährigen Krieg führte, wird das Land weitestgehend ignoriert. Wie die Geschichte aber lehrt, ist Europa schon mal in Bosnien gefallen: Das Attentat von 1914 am österreich-ungarischen Thronfolger löste sogar den ersten Weltkrieg aus!

„National Bird“- Regisseurin Sonia Kennebeck und die Anwältin der Soldaten, Jesselyn Radack, die schon mal Edward Snowden vertreten hat
Einem aktuellen Krieg widmete sich die Regisseurin Sonia Kennebeck in ihrem Erstlingsdokumentarfilm „National Bird“, der nicht im Wettbewerb, sondern als Berlinale Special gezeigt wurde. Darin beschreiben die amerikanischen Soldaten, wie sie von ihren sicheren Arbeitsplätzen die Drohnen über Afghanistan explodieren lassen und afghanische Zivilisten erzählen, wie diese Explosionen ihr Leben zerstören.
Majd Mastoura wurde für seine Rolle als Hedi im gleichnamigen Film als bester Darsteller gewählt und Regisseur Mohamed Ben Attia bekam den Preis für den besten Erstlingsfilm. Diese sehenswerte Geschichte über das Leben junger Menschen zwischen den Traditionen und dem Ruf der Freiheit kommt aus Tunesien.
Als beste Darstellerin wurde Trine Dyrholm für ihre Rolle der verlassenen Ehefrau im dänischen Film „Kollektivet“ (Kommune) gewählt. Gezeigt wird der Versuch unterschiedlicher Menschen zusammen in einem Haus zu leben. Doch leider scheitert nicht nur dieser Versuch, sondern auch der Regisseur Thomas Vinterberg daran – eine halbe Stunde weniger (Gesamtlänge 111 Minuten) hätte diesem Film gut getan.
Schließlich ist die Länge eines Films kein Qualitätsmerkmal und war ganz sicher nicht der einzige Grund, dass der Preis für einen Spielfilm, der eine neue Perspektive eröffnet, an Lav Diaz’ Beitrag über die philippinische Revolution ging. Obwohl er den in der Geschichte eines Filmfestivals bisher längsten gezeigten Film („Hele Sa Hiwagang Hapis“) von 482 Minuten zur Berlinale brachte.

Berlinale Direktor Dieter Kosslick: „Ein Filmfestival ist immer auch Seismograf, Diskurs und Spiegel der Realität.“
Um eine vom Ehemann betrogene und verlassene Frau geht es auch in dem französischen Film „L’Avenir“ (Was kommt), der für die beste Regie ausgezeichnet wurde. Deutlich zeigt sich hier, dass die Regisseurin Mia Hansen-Løve ein anderes Frauenbild bevorzugt als ihr männlicher Kollege Vinterberg. Allein das rechtfertigt schon die Forderung des Bundeverbandes Regie nach mehr Förderungen für Frauen und Nachwuchsregisseure bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF. Laut dessen Diversitätsbericht gab es im Jahr 2014 in manchen Schienen, wie in dem High-budget-Bereich der Kinofilme ab 5 Mio. Euro, keine (!) Regisseurin, und der Nachwuchs wird erst ab einem Alter von 40 Jahren in die Regie-Arbeitswelt integriert.
Eine Vater-Sohn Beziehung, Sektenleben, Waffengewalt – es menschelt mal wieder in einem amerikanischen Sci-Fi-Thriller: „Midnight Special“, des Regisseurs Jeff Nichols, entsendet Grüße ins All, und es macht Spaß, dabei zu sein, auch wenn man kein Fan von Star Wars ist.
In gewisser Art „altmodisch“ ist auch der Film „Genius“, den man sich nicht entgehen lassen sollte! Regisseur Michael Grandage schenkt uns Filmpoesie, zusammen mit Colin Firth, Jude Law, Nicole Kidman, Laura Linney. Er zeigt den Wert eines guten Lektors, wie Max Perkins einer war, der z. B. Hemingway, F. Scott Fitzgerald und Thomas Wolfe im Scribner’s Verlag unter Vertrag nahm.
Jazzlegende Miles Davis (1926-1991) war ein Meister der Improvisation. Ein wildes Musikerleben mit allem was dazu gehört: Musikproduzenten, Frauen, Drogen, Alkohol… Mit dem Regiedebüt „Miles Ahead“ gelingt dem Schauspieler Don Cheadle, der sein Idol selbst spielt, ein Film, der mit großer Wahrscheinlichkeit auch Miles Davis gefallen hätte. 
MassenmörderInnen waren bei der diesjährigen Berlinale stark vertreten: beeindruckend der tschechische Beitrag „Ja, Olga Hepnarová“ (Ich, Olga Hepnarova) über eine junge Frau, die mit 22 zur Massenmörderin wurde und 1975, als letzte in der Tschechoslowakei, öffentlich hingerichtet wurde.
Oliver Schmitz führte Regie bei „Shepherds and Butchers“ (Hirten und Schlächter): 1987 erschoss ein weißer Polizeiangestellter in Pretoria (Südafrika) sieben Mitglieder (überwiegend Schwarze) eines Football Clubs. Ein Gerichtsdrama, das eindrucksvoll gegen die Todesstrafe plädiert.
Auch im kroatischen Film „S one strane“ (Auf der andere Seite) geht es um Schuld und Strafe. Welche Folgen hat eine mehrjährige Gefängnisstrafe des Haager Kriegstribunals für die Familie eines Kriegsverbrechers? Es handelt sich hierbei um eine kroatisch-serbische Koproduktion, die an sich lobenswert ist. Leider versucht der Film erst gar nicht, so etwas wie Reue der Täter, das Unrechtsbewusstsein oder Mitleid mit den Opfern zu Tage zu bringen. Oder politische Hintergründe anzudeuten. Schlimmer noch, es wird der Ehefrau aufgebürdet über die Schuld ihres Mannes hinwegzusehen, seine Taten nicht zu hinterfragen und ihn so zu nehmen, wie er ist. Die Regiearbeit führte Zrinko Ogresta, der gleichzeitig als Koautor zeichnet und damit beweist, wie schädlich es sein kann, wenn Männer sich autorisiert fühlen, Drehbücher über Frauen ohne Frauen zu schreiben. Eine Verschwendung des schauspielerischen Könnens der Hauptdarsteller Ksenija Marinković und Lazar Ristovski.
Über 400 Filme, davon fast 200 Premieren wurden während der Berlinale vom 11-21. Februar gezeigt. Auch einige Filme, die vier Wochen zuvor beim Saarbrücker Filmnachwuchsfestival „Filmfestival Max Ophüls Preis“ gezeigt wurden, bekamen viel Aufmerksamkeit. Die Gewinner hatten die Gelegenheit, sich beim traditionellen Empfang der Landesmedienanstalt (LMS) in der saarländischen Landesvertretung in Berlin mal wieder zu treffen und zu besprechen. Bevor sie dann alle zu weiteren Terminen eilten. Denn wer die nächsten Bären abräumen will, muss jetzt schon hart arbeiten. Es bleibt spannend!

Das Highlight war der Besuch des Dokumentarfilmers
dargestellt wird. Darin zeigt Staudte wie indoktrinierte Kinder ihre eigenen Eltern denunziert haben.
Doch nicht die gelungene Festivalwoche sollte unsere Erinnerung an das 37. Filmfestival Max Ophüls Preis prägen, sondern bedauerlicherweise aufgetretene Querelen um die Besetzung der Festivalleitung. Vor zwei Jahren verließ der künstlerische Leiter Philip Breuer nach zehn Jahren das Festival. Aus persönlichen Gründen, wie es hieß. Niemand äußerte Sorge um mögliche Schäden für das Festival.
Interessiertes Publikum, gute cineastische Infrastruktur mit hingebungsvollen Mitarbeitern, Unterstützung der Hauptstadt und des Landes, Sponsoren, mediale Begleitung, gute Organisation, engagierte Mitarbeiter und Jurymitglieder… Das wichtigste aber: es ist gelungen viele junge Filmemacher dafür zu gewinnen, dass sie ihre Erstlinge oder ihre noch nie gezeigten Filme diesem Festival anvertrauen. Damit bekräftigt das MOP-Filmfest sein Anspruch, das wichtigste deutschsprachige Nachwuchsfilmfestival zu sein. Deutschsprachig heißt aber nicht etwa, dass in den Filmen nur Deutsch gesprochen wird, oder dass die Themen in irgendeine Weise auf das deutschsprachige Territorium begrenzt sind. Es genügt ein Bezug zum Deutschen, sei es die Sprache, das Land, der/die FilmemacherIn, Produzent…
Zwei Filme haben eine starke Spur hinterlassen: der Gewinner des Hauptpreises in Höhe von € 36.000 „Chrieg“ in der Regie von Simon Jaquemet und Publikumsliebling „Freistatt“ des Regisseurs Marc Brummund. Beide Filme zeigen Jugendliche, die von ihren Eltern von Zuhause weggeschickt werden, damit jemand anderer sich um sie kümmert. So wurden z.B. im Nachkriegsdeutschland ca. 800.000 Jugendliche im Alter von 14-21 Jahre in die hauptsächlich kirchlich geführten Heime abgeschoben, wo man sie Disziplin und Gehorsam „lehrte“. Eine der brutalsten Einrichtungen befand sich in Freistatt, wo die „Schützlinge“ nicht nur harte Arbeit verrichten mussten, sondern auch körperlich und psychisch gequält wurden (erschütterndes Live-Zeugnis von Wolfgang Rosenkötter). Die Geschichte dieser Heimkinder ist erst 2006 der Öffentlichkeit bekannt geworden. Seit 2010 werden die ehemaligen Heimkinder aus einem staatlich-kirchlich finanzierten Fond mit insgesamt 120 Millionen Euro finanziell entschädigt.
Auch die Dokumentarreihe bot viele bemerkenswerte Filme von den Schauplätzen in Norwegen, Ägypten, Deutschland, Türkei…
Auch wenn der Film selbst nicht die große Anerkennung bei diesem Festival fand, ist es erfreulich, dass „Kafkas Der Bau“ in der Regie von Jochen A. Freydank, zum Teil von Saarland Medien und dem SR gefördert wurde und auf dem Gebiet der Filmproduktion beim Saarländischen Rundfunk ein Umdenken stattgefunden hat. Die jungen Filmemacher brauchen Geld um gute Filme machen zu können. Auf dass sie nicht wie der Meister Wolfgang Staudte ihr Talent nur mit „Tatort“ vergeuden müssen! Auch in diesem Jahr zeigte die Staudte Fördergesellschaft im Rahmen des MOPs einen seiner wenigen Filme „Kirmes“, aus dem Jahr 1960. Offen und mutig schaut er in die Seele der deutschen Gesellschaft nach dem 2. Weltkrieg, mit einer bis heute selten gesehenen Selbstkritik.
Bei den meisten Gelegenheiten blieb unerwähnt, dass das Filmfestival einen neuen Programmleiter, Oliver Baumgarten, hat. Wir wollen hoffen, dass auch seine Mitarbeit dazu beigetragen hat, dass uns in diesem Jahr ein qualitativ sehr gutes Programm angeboten wurde. Jedenfalls scheint es, dass das Trio Festivalleiterin Gabriella Bandel, Programmleiter Baumgarten und die Organisationsleiterin Claudia Ruth gut zusammenpassen. Wünschen wir uns, dass dies auch im nächsten Jahr so bleibt.