Jeder dritte Saarbrücker Bürger hat einen Migrationshintergrund und keiner sitzt im Saarbrücker Stadtrat. Nur 1,1 % aller Parteienmitglieder in Saarbrücken kommen aus dieser Wählergruppe. Das zeigt eine Studie des Integrationsbeirats Saarbrücken zur Vielfalt in der Saarbrücker Kommunalpolitik, die auch die Grundlage für eine öffentliche Diskussion letzte Woche war. Angesichts der kommenden Kommunalwahlen im Saarland im Mai 2014 und den Integrationsbeiratswahlen im April, versuchte man die Situation zu beleuchten und Chancen für eine Anpassung auszumachen.
Wie von Wolfgang Vogt, dem Studienleiter (GIM/HTW) zu hören war, gab es im Vorfeld der Studie bei den Parteien durchweg große Bereitschaft, über das Thema zu sprechen. „Es gab Betroffenheit und alle sagten, ja das ist ein Thema für uns, das interessiert uns!“, sagte Vogt.
Keine Zeit für Einwanderer?
Ob die politischen Parteien im Saarland in der Lage und willens sind, Bürger mit Migrationshintergrund als Wählergruppe wahrzunehmen und ob dies bei der Vorbereitung für die Kommunalwahlen diskutiert wird? Und ob die Parteien gar Methoden und Strategien entwickelt haben, um mit Einwanderern ins Gespräch zu kommen, um sie anzuwerben und für sie attraktiv zu sein? Das wollte Moderator Prof. Dr. van den Boom wissen: „Stellt irgendeiner die Frage: Willst du nicht mal mitmachen?“ fragte er in die Runde, in der neben dem neuen „Migrationsdezernenten“ Thomas Brück auch der alte Kajo Breuer (beide von den „Grünen“), die Fraktionsvorsitzende der Linke im Stadtrat Gabriele Ungers und einige wenige Vertreter anderer Parteien saßen. Von der CDU kam niemand und die SPD hat sich entschuldigt.
Parteien sind altmodisch
Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete (2002–2009) Lale Akgün, die als Gast aus Nordrheinwestfalen eingereist war meinte dazu:
„Parteien kommen nicht mehr mit. Ihre Mitglieder und ihre Rituale sind überaltert, sie sind zäh und langsam und für junge Leute total uninteressant. Keine Partei könnte jetzt mal auf die schnelle über Facebook Menschen für etwas mobilisieren, weil mit dem Ortsvereinsvorsitzenden und noch dem und dem, abgestimmt werden muss… Nein, die Jungen sagen, das ist mit zu langweilig und altmodisch, ich möchte lieber bei Greenpeace, Amnesty International oder Brot für die Welt mitmachen…. Das heißt, die Parteien müssen sich was überlegen, damit sie Menschen ansprechen und begeistern können. Da sehe ich große Chancen für Einwanderer, die sonst nicht die sozialen Kontakte haben, die man braucht um gesellschaftlich aufzusteigen. Die Parteien bieten dafür eine gute Möglichkeit. So gesehen können Parteien für junge Einwanderer sehr interessant werden. Und umgekehrt auch, weil diese Sozialaufsteiger noch bereit sind, den zähen Weg, die berühmte Ochsentour zu gehen.“
Wie sonst im Leben, verhält es sich auch in der Politik. Zu wenig Kontakte und zu wenig Kommunikation schüren Vorurteile und begünstigen Zuschreibungen:
„Als ich 2002 in den Bundestag kam, haben mich einige Kollegen als „exotischste“ Frau der Fraktion vorgestellt, nur weil ich türkischer Herkunft bin. Und als ich einmal vor einem gemeinsamen Restaurantbesuch den Witz gemacht habe, dass ich zuerst prüfen müsste, ob mein Mann mir das Taschengeld überwiesen hat, haben das alle geglaubt! Wenn man sich gegenseitig nicht kennt, kann man alles erzählen und die Leute glauben das. Ich hätte mich damals zum Beispiel gerne mit Außenpolitik beschäftigt, aber darf eine „Türkin“ für Deutschland Außenpolitik machen? Gleichzeitig war ich mit so viel Unwissen zum Thema Integration konfrontiert, dass ich mir gesagt habe, OK, ich kenne es besser und bevor zu viel Falsches passiert mache ich das.“, erzählte Akgün.
Muslime in einer christlichen Partei
Mahmut Eğilmez, CDU-Nachwuchspolitiker und Blogger aus NRW hat auch mit Vorurteilen zu kämpfen. Viele wundern sich, dass ein „Migrant“ bei der CDU ist. Erstens wegen der Integrationspolitik dieser Partei (weder Kommunalwahlrecht, noch doppelte Staatsbürgerschaft wird gleichermaßen allen Bürger gewährt), und dann weil das eine christliche Union ist. Auf den ersten Blick kein Platz für einen Muslim?
„Auch wenn ich hier geboren und aufgewachsen bin, werde ich leider überwiegend als Migrant abgestempelt. Ich habe mir aber nicht nur nach diesen Kriterien die Partei ausgesucht, obwohl ich nach wie vor für doppelte Staatsbürgerschaft bin. Ich bin eben mehr als „ein Migrant“. Mich interessieren Wirtschaft, Bildungspolitik und Kita-Plätze mehr als Einwanderungspolitik. Wenn über Integrationspolitik gesprochen wird, dann gehe ich raus, weil ich nicht darauf reduziert sein möchte. Dass es sich dabei um eine christliche Partei handelt, stört mich auch nicht, weil es zwischen „c“ und „i“ keine großen Unterschiede gibt. Im Gegenteil gibt es viele Gemeinsamkeiten, beide setzen zum Beispiel großen Wert auf die Familie, und man soll auf Gemeinsamkeiten aufbauen.“, sagte der 23-jährige Eğilmez.
Einige saarländische „Migranten“ berichteten über ihre überwiegend mühsamen, wenig erfolgreichen Versuche, sich in die Politik, in die Parteien, in das Kommunalgeschehen vielerorts im Saarland einzubringen.
Quote?
Mohamed Maiga, nach fast 10 Jahren im Ausländer- bzw. Integrationsbeirat Saarbrücken, die meiste Zeit als Sprecher, und selbst jahrelang Mitglied in der CDU, sieht mittlerweile in einer Quote noch die einzige Möglichkeit, mehr Einwanderer in die Stadtpolitik zu bringen.
„Schon mein 13-jähriger Sohn sagt zu mir: „Papa, du verlierst nur deine Zeit. 2025 wird das von alleine kommen.“ Aber ich möchte mich jetzt engagieren und nicht warten! Ich will mich dort einbringen, wo über meine Angelegenheiten und mein Leben entschieden wird!“, sagte Maiga.
Eine Quote wäre das Falsche, weil man damit die jungen, gebildeten Menschen vergraulen würde, die aufgrund einer verfehlten Integrationspolitik Deutschland mittlerweile lieber verlassen und woanders ihre Zukunft aufbauen, meinten einige Andere.
Und während man sich über die Quote uneinig war, eins ist durch die Diskussion klar geworden: es gibt im Saarland gerade jetzt einen wichtigen Anlass, nämlich die Integrationsbeirats- und Kommunalwahlen 2014 und dazu eine gute Grundlage mit der „Vielfalt-Studie“, um dieses Thema in die politischen Gremien systematisch und strategisch einzubringen. Ein persönlicher Einsatz mit der simplen Frage “Willst du mitmachen?“ wäre aber auch ein guter Anfang!