Mit 43.000 Besuchern und einer Auslastung der Kinosäle von 79,8 Prozent setzte das 37. Filmfestival Max Ophüls Preis einen positiven Trend fort. In der Festivalwoche gab es dank zahlreicher junger und älterer Filmemacher und Filmliebhaber viel Festivaltreiben und gute Atmosphäre in Saarbrücken. Doch die knappe Ankündigung der Stadt, sie sei auf der Suche nach einer neuen Festivalleitung, blieb wie eine graue Wolke über dem Festival hängen.
Der Eröffnungsabend brachte auch kein gutes Omen, denn die Wahl des Eröffnungsfilms und des Moderators waren echte Flops. Trotz des hochinteressanten Themas (UNESCO-Helferin, die in einem arabischen Land Spenden für die Kriegsflüchtlinge sammelt) und dem Tatort-Star Maria Furtwängler in der Hauptrolle, gelang es der Regisseurin Isabelle Stiever nicht, dem Film „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ einen sinnvollen Inhalt oder gar eine Pointe zu verleihen. Echt kein gutes Vorbild für den Filmnachwuchs. Den restlichen Abend bestimmten ein ausufernder Moderator und kleinere Pannen bei Ansprachen und Outfits. Gebe es einen Preis für das misslungenste öffentliche Auftreten … ein Holzmikrofon…
Die Freude auf die beginnende Festivalwoche ließ dies jedoch schnell vergessen. Es gab in diesem Jahr auch einiges, was sich ein Festivalgänger nicht entgehen lassen sollte. Um die Preise im Gesamtwert von 110.000 Euro konkurrierten im Wettbewerb wie immer Filme in den Sparten Kurz-, Mittellang-, Lang- und Dokumentarfilm. Hinzu kamen Sonderreihen, Gastfilme, Workshops, Branchentage…
Das Highlight war der Besuch des Dokumentarfilmers Marcel Ophuls, des Sohns des Regisseurs Max Ophüls. Für seine Dokumentation „Hotel Terminus – Leben und Zeit des Klaus Barbie“ erhielt er 1988 einen Oscar. Im letzten Jahr wurde er mit der Berlinale Kamera als einer der bedeutendsten Chronisten und Aufklärer der Gegenwart geehrt. Die Saarbrücker und der Filmnachwuchs bekamen so die Gelegenheit, aus seinen Werken, wie beispielsweise dem vierstündigen Monumentalwerk „The Memory of Justice“ über die Nürnberger Prozesse, den Vietnam- und Algerienkrieg, zu lernen. Obwohl dieser Film vor 40 Jahren fertiggestellt wurde, hat er an seiner Aktualität und Spannung nichts eingebüßt. Der 88-jährige Gast teilte bei mehreren Gelegenheiten dem Publikum seine Erinnerungen und Erfahrungen mit. Es ist zu hoffen, dass er Saarbrücken weiterhin verbunden bleibt.
Die Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader begleitete auch als Ehrengast die ihr gewidmete Filmreihe. Nicht vergessen werden sollte auch das Werk des Saarbrücker Regisseurs Wolfgang Staudte, der sich wie kein anderer mit der Frage der individuellen Verantwortung der Deutschen angesichts der Massenverbrechen des Nationalsozialismus auseinandersetzte. Ihm zu Ehre wurde in Saarbrücken eine Gesellschaft gegründet, die seit einigen Jahren im Rahmen des Festivals seine Filme zeigt. „Rotation“ war diesmal an der Reihe, ein 1949 gedrehter Spielfilm, in dem die Auswirkungen der Nazi-Propaganda zwischen 1932 und 1946 auf das Familienlebendargestellt wird. Darin zeigt Staudte wie indoktrinierte Kinder ihre eigenen Eltern denunziert haben.
Welche gesellschaftliche Wirkung Filme entfalten können, zeigten zwei Beiträge aus der Schweiz und Luxemburg. Obwohl der Film leider ohne Untertitel gezeigt wurde und die Zuschauer die Dialoge im Schwizerdütsch nur erahnen konnten, war die Stärke der Film-Aussagen unübersehbar. Tatsächlich hat „Heimatland“, in dem zehn Regisseure die schweizerische Gegenwart kritisch beschreiben und wegen einer verhängnisvollen Wolke die Schweizer aus der Heimat flüchten lassen, eine intensive Diskussion im Land ausgelöst. Er bekam auch den Preis für den gesellschaftlich relevanten Film.
A propos Sprache: Auch der Film von Marcel Ophuls „Un voyageur“ wurde nicht mit deutschen, sondern mit englischen Untertitel in französischem Original gezeigt. Was wieder die Frage aufwirft, wie zeitgemäß es ist und welchen Sinn es hat, das MOP-Festival als deutschsprachig zu bezeichnen. Zum Beispiel wurde der beste Kurzfilm im vorigen Jahr – „Sadakat“ von Ilker Ҫatak – in Istanbul auf Türkisch gedreht. Dieser Film gewann dann auch einen Studenten-Oscar. Eigentlich ist es beim MOP längst so, dass nur irgendein Bezug zum Deutschen, sei es die Sprache, das Land, der/die FilmemacherIn oder ProduzentIn genügt, um dabei zu sein. Wozu dann die Wiederholung der Phrase das wichtigste deutschsprachige Nachwuchsfilmfestival zu sein?
Wäre es nicht an der Zeit, das Festival auf beispielsweise die Großregion auszuweiten und so auch die kulturelle Grenze nach Frankreich und Belgien zu öffnen? Beispiel Festival Perspectives. Voneinander lernen, keine Angst vor gesellschaftskritischen Filmen innerhalb der Nationalstaaten haben, sich Mut zusprechen, zusammen arbeiten, europäisch denken, sich mit politischen Themen auseinandersetzen… Es ist schade und schwer nachzuvollziehen, dass sich junge Filmemacher, die gerade im mutigsten Alter sind, kaum mit der Welt(un)ordnung befassen. Vielleicht wirkt der von der Landesmedienanstalt Saar initiierte Fonds von 55.000 Euro für Drehbuchautoren und Produzenten, deren Filmstoffe einen Bezug zur Großregion haben, wie ein Anstupser.
Aus Luxemburg wurde der Film „Eine neue Zeit“ („Eng nei Zäit“), Regie Christoph Wagner, gezeigt. Darin wird die Rolle der Luxemburger im Zweiten Weltkrieg hinterfragt sowie der Zustand der Nachkriegsgesellschaft, die einige Verbrechen an deutschen Zivilisten nach dem Krieg vertuschte.
Eine gesellschaftliche Selbstreinigung wünscht sich auch Sinisa Vidovic, Regisseur aus Österreich, der am Beispiel der allseits beliebten Stierkämpfe in Bosnien und Herzegowina die Wiederherstellung des friedlichen Zusammenlebens der dortigen, per Religionsfeindbilder geteilten Menschen, herbeisehnt.
Der Film über den Nagelbombenanschlag in Köln 2004 „Der Kuaför aus der Keupstrasse“ (Regie Andreas Maus) verfügt über wertvolles und sehenswertes Dokumentarmaterial. Er schafft es aber nicht, die Keupstrasse, die Stadt Köln und die bundesdeutsche Wirklichkeit, die diesen Anschlag und den Umgang mit ihm ermöglicht hat, zueinander in Bezug zu setzen und sie dem Zuschauer näher zu bringen.
Die Regisseurin Aya Domenig lässt in ihrem Film „Als die Sonne vom Himmel fiel“ die Zeitzeugen über Japans Atomkatastrophen erzählen. Lange Zeit war es in Japan ein Tabu über die Folgen von Hiroshima und Nagasaki zu sprechen. Warum solcher Umgang gesellschaftsfähig war und welchen Einfluss dies auf die Tragödie von Fukushima hatte, wird leider nur am Rande analysiert.
Der Dokumentarfilm „Passion for Planet“ der den Filmmusikpreis verliehen bekam, hat am Filmmaterial und an der Zeit nicht gespart. Dennoch bleibt er als Gesamtwerk hinter den Erwartungen. Es fehlt ein Spannungsbogen zwischen den fünf einzelnen Tierfilmern, mit denen der Regisseur Werner Schuessler in der Welt unterwegs war. Wie eine junge Frau ihre Depression überwindet erzählt erfrischend optimistisch der Film „Luca tanzt leise“ des Regisseurs Philipp Eichholtz.
Den Hauptpreis des Festivals, den Max-Ophüls-Preis, dotiert mit 36.000 Euro, bekam dieses Jahr der österreichische Film „Einer von uns“ des Regisseurs Stephan Richter, der die Perspektivlosigkeit von jungen Menschen in der österreichischen Provinz aufzeigt. Wobei der Begriff der „Perspektivlosigkeit“ in einem der reichsten Länder dieser Welt abgehoben und weltfremd klingt.
Als beste Nachwuchsschauspielerin wurde Odine Johne für die gleichnamige Rolle im Film „Agnes“ (Reg. Johannes Schmid) gewählt, und als bester Nachwuchsdarsteller wurde Ben Münchow für seine Rolle im Film „Rockabilly Requiem“ (Regie. Till Müller-Edenborn) ausgezeichnet. Den Ehrenpreis für seine Verdienste um den jungen deutschen Film bekam der Produzent Nico Hofmann.
Es wurde viel gefeiert im neuen Festivalclub „Lolas Bistro“, doch sei nach Meinung vieler der alte Standort in der „Garage“ zu diesem Zweck doch geeigneter als das ehemalige Kino „Gloria“. Da dieser Umzug sowieso nicht geplant war, bleibt zu hoffen, dass die „Garage“ nächstes Jahr rechtzeitig gebucht wird.
Doch nicht die gelungene Festivalwoche sollte unsere Erinnerung an das 37. Filmfestival Max Ophüls Preis prägen, sondern bedauerlicherweise aufgetretene Querelen um die Besetzung der Festivalleitung. Vor zwei Jahren verließ der künstlerische Leiter Philip Breuer nach zehn Jahren das Festival. Aus persönlichen Gründen, wie es hieß. Niemand äußerte Sorge um mögliche Schäden für das Festival.
Als jetzt bekannt wurde, dass der zuletzt auf nur ein Jahr geschlossene Vertrag zwischen der Stadt als Arbeitgeberin und der nun alleinigen Leiterin Gabriella Bandel wegen gescheiterten Gehaltsverhandlungen nicht über den März 2016 hinaus verlängert wird, wachten die Kritiker auf. Die Annahme des neuen Kulturdezernenten, dass sich Frau Bandel längst mit dem Ende ihres Vertrages abgefunden hätte und friedlich ihren Platz räumen würde, zerschlug sich bei einer von den selbsternannten Festivalfreunden einberufenen Pressekonferenz und auch bei der Abschlussveranstaltung. Anstatt von Beginn an die Gründe für die Ablösung von Frau Bandel darzulegen und einen würdigen Abschied für sie vorzubereiten, ließen die Stadtvertreter es zu, dass die Festivalbühne gegen sie selbst missbraucht wurde.
Trotz berechtigter Bedenken über die Risiken, die eine neue Festivalleitung mit sich bringt, brachten diese inszenierten Sorgen um die Zukunft des Festivals vor allem zweierlei zum Ausdruck: die Sorge um die Zukunft von Gabriella Bandel und damit verbunden der eigenen Rolle beim Max-Ophüls-Preis Filmfestival. Und zweitens die tiefe Abneigung gegenüber dem Kulturdezernenten Thomas Brück. Mutig werden nach ihm Steine geworfen, als gäbe es im Saarland keine anderen Sünder. Ihm wird selbst dann die Anerkennung verweigert, wenn er den Ehrengast Marcel Ophuls nach Saarbrücken bringt.
Wie auch immer, eins scheint sicher: Gebe es einen Preis für das misslungenste öffentliche Auftreten … ein Holzmikrofon… dann wären die Stadtoberen ernsthafte Kandidaten!