„Wenn es in Belgrad donnert, dann regnet es schon in Zagreb und dunkle Wolken ziehen über Sarajevo auf“ – dieses Sprichwort beschreibt die Wahrheit, dass anscheinend weit auseinander liegende Ereignisse miteinander verbunden sind.
So erschreckte uns in Saarbrücken vor zwei Tagen das Verbot des Theaterstücks „Un-Göttliche Komödie“ in Regie des erfolgreichen Regisseurs Oliver Frljić. Das Stück beschäftigte sich kritisch mit dem polnischen Antisemitismus. Unter dem Druck der Rechtspopulisten setze der Leiter des Krakauers „Teatr Stary“ das Stück vom Spielplan ab.
Noch ist es schwer zu glauben, dass am Abend der Qualifikation der kroatischen Fußballmannschaft für die WM in Brasilien das ganze Stadion unter Leitung eines Nationalspielers „Sieg Heil“ auf Kroatisch gebrüllt hat! Und es geht uns sehr wohl an, wie die FIFA die Mannschaft und den Spieler bestraft. Auf dem internationalen Portal Change.org haben bisher 30.000 Menschen eine Petition unterschrieben, Kroatien von der WM auszuschließen.
Geht es uns etwas an, wenn in Vukovar kroatische Nationalisten die kyrillische Sprache aus der Öffentlichkeit verbannen wollen? Oder dass am kommenden Sonntag in Kroatien ein Referendum stattfindet, mit der Frage „Sind Sie dafür, dass in die kroatische Verfassung ein Artikel aufgenommen wird, wonach die Ehe eine Lebensgemeinschaft zwischen einer Frau und einem Mann ist?“ Die Hetzte gegen die Homosexuellen in Kroatien findet ihr Spiegelbild auch in Serbien, wo bislang Gay-Paraden (LGBT) verboten waren.
Beschneidung der Minderheitenrechte, Zensur, Einschränkung der Meinungsfreiheit, faschistische Parolen. Weder Zagreb, noch Krakau sind so weit weg, um keine Angst vor den dunklen Wolken zu spüren.
Am Vorabend des beschämenden Referendums in Kroatien veröffentlichen wir einen Artikel aus dem Kroatischen von Predrag Lucić
Von Predrag Lucić
Seit Tagen schon wird Professor Matko Marušić von der gläubigen Nation bewundert und von der ungläubigen ausgelacht, weil er bei einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Namen „Gesunder Verstand spricht aus: die Ehe = Frau + Mann“, in Omiš (bei Split), die Versammelten überzeugen wollte, dass ihre Stimme „FÜR“ die Referendumsfrage über die Verfassungsdefinition der Ehe rettungsbringend für die ganze, auf die schiefe Bahn geratene Menschheit ist.
„Kroatien ist als letztes Land geblieben, das die Welt von perversen Menschen retten kann und den Serben lasse ich sagen, dass wir in diesem Kampf ihre einzigen Freunde sind!“ – so beschwor der ehemalige Rektor der Medizinischen Fakultät in Split und Prorektor der Medizinischen Fakultät in Zagreb, am Vorabend der schicksalhaften Kämpfe um Erhalt des sittlichen Lebens des Planeten, die kroatischen und serbischen Ehe-Verteidiger die Reihen zu schließen.
Kroatien rettet die Welt
„Kroatien ist das letzte Land geblieben, das die Welt retten kann! All die Größten sind gefallen. Spanien und Brasilien, und alleine das kleine Kroatien leistet noch Widerstand. Wenn ich das sage, dann lachen mich die Menschen aus, aber ich antworte, lache nur, es ist nicht so, dass ich nur gut unterhalte, sondern ich habe auch Recht. Und sollte der Teufel dennoch durch ein Wunder siegen, werden wir ehrenhaft die Niederlage annehmen und in die Geschichte eingehen als ein Volk, das den größten Widerstand der Unsittlichkeit geboten hat!“ – ermutigte Professor Marušić die Retter der Welt, die sich an der Flussmündung der Cetina versammelt haben und bereit waren, gegen alle Sodomas und Gomorras unserer Tage anzukämpfen, wie damals die althergebrachten Piraten von Omiš gegen die venezianischen Gallien.
Unter denen, die Matko Marušić in diesen Tagen am lautesten ausgelacht haben, war Ante Tomić, der – während er weder an die Rettung, noch an Gott, noch an Sein ausgewähltes kroatisches Volk glaubt – sich sogar an die Zuneigung des Professors gegenüber männlicher Schönheit herangemacht hat. Er spottete über seine einstige Aussage über den Präsidenten Tudjman als „ausgesprochen schönem Mann“, der „die Größe hat, nicht dick ist, wunderschönes graues und welliges Haar hat, ein markantes Gesicht und der phänomenal aussieht“. Und Präsident Tudjman war nicht nur physisch schön, sondern auch – was für diese Geschichte viel wichtiger ist – geistig veredelt durch das Bewusstsein über die Rettungspotenziale der Kroaten, worüber er ohne Scheu auch gegenüber den sprichwörtlich skeptischen Vertretern der internationalen Gemeinschaft gesprochen hat. So hat er ohne falsche Bescheidenheit Carlos Westendorp gesagt: „Wissen Sie, mich wird die Geschichte in einer Reihe mit dem Franz, als Retter der westlichen Zivilisation setzen.“
Im Land, das von einem, von der Welt unerkannten Retter der westlichen Zivilisation geführt wurde, war solches Bewusstsein über die Aufgabe der Kroaten den schnell verfallenden Planeten zu retten, nicht nur das Privileg der Staatsmänner. Dieses Bewusstsein hatten und zeigten stolz auch die Priester und die staatstragenden Intellektuellen, die Universitätsprofessoren und Mitglieder der Kroatischen Akademie der Wissenschaften und Kunst (HAZU) und der Kroatischen demokratischen Gemeinschaft (politische Partei HDZ). All diejenigen, von denen wir hörten, dass „der Vergleich Kroatiens mit der westlichen Welt unmöglich ist“, weil das wäre so, als ob man diejenigen die Barrabas gewählt haben, mit denen, die Jesus gewählt haben vergleichen würde; dass das „Kroatentum“, bzw. die kroatische Lebensweise“ nachweislich „das einzige Heilmittel für die Unsittlichkeit des Westens“ ist; dass „die westlichen Demokratien im Vergleich zu Kroatien, dem freiesten und demokratischsten Land der Welt wie „die zwei hässlichen Töchter aus dem „Aschenputtel“ sind“; dass die „internationalistische Mediokritäten von uns lernen sollten was Zivilisation, Kultur, Geschichte, Würde, Ritterlichkeit und natürlich Europa“ ist; und dass selbst die Mutter Gottes, denjenigen, die sie zu verstehen wussten, „erschütternd und voller Zeichen über das Schicksal des kroatischen Volkes, aber auch über seine Mission und seinem Platz im Gottesplan der Rettung der Welt“ gesprochen hat.
„Wir im Westen wissen nur was Sex ist“
Dass die kroatische Mission im Gottesplan der Weltrettung nicht nur ein leerer Trost der Anwältin der Kroaten gegenüber ihren geschichtlich verarschten Klienten ist, dass diese Mission nicht eine Tudjmano-geistige Dummheit, auf die Kriecher des Schönlings hereingefallen sind, zeugen auch die schmerzhaft ehrlichen Worte eines Schweizer Psychologen, der seinem kroatischen Kollegen zugeflüstert hat – so das ihn seine retardierten Landsmänner nicht hören: „Ihr Kroaten seid reicher als wir, weil ihr wisst, was die Liebe ist. Wir im Westen wissen nur was Sex ist, aber wir wissen nicht, was die Liebe ist.“ Dieses bezeugen auch die Worte des französischen Militärbischofs Michel Dubost, der vor der Mutter Gottes in Lourdes und ihren uniformierten Pilgern unverhohlen die Kroaten verehrte, indem er behauptete, dass wir „etwas haben, was immer mehr verschwindet“, dass wir „die Werte haben, die in Europa im Begriffe zu verschwinden sind, ohne die Europa aber nicht leben kann“.
Wenn es noch jemanden gibt, dem nicht klar ist, über welche kroatischen Werte der bewunderungsvolle französische Bischof gesprochen hat, dann soll er aufmerksam lesen, was zu diesem Thema der kanadische Schriftsteller Michael O’Brian gesagt hat: “Gott wählt Kroatien als Festungsmauer Europas. Die Demokratie im Westen ist faul und stirbt, weil sie ihre christliche Identität verworfen hat. Und ihr habt den Glauben, ihr wisst, wer und was ihr seid, und deswegen werdet ihr uns lehren, weil ihr im Feuer des Unglücks erprobt wurdet, und eure Kirche alle Qualen überlebt hat. (…) Ihr Kroaten habt eine spezifische Mission in der Weltgeschichte, ihr durchgeht die Fegefeuer, und ihr könnt hier die ursprüngliche und ehrliche Demokratie auf christlichen Prinzipien aufbauen! Eure Mission besteht darin, Europa eine neue geistige Inspiration zu bringen, weil Europa seinen Glauben sehr schnell verliert. Ihr habt eine große Berufung, ihr seid klein, sowohl zahlenmäßig, als auch geografisch, aber Gott hat immer die kleinen und die kleinsten für die größten Taten gewählt. (…)Trotz seiner inneren Teilungen, Kroatien ist doch ein katholisches Land, wie kaum ein anderes auf der Welt. Noch könnt ihr die Kraft bewahren, die wir im Westen, um direkt zu sein – dem Teufel verkauft haben! Als Fremder und in einem fremden Land bitte ich euch: „Seid uns im Westen nicht ähnlich! Seid das, was ihr seid, weil ihr auf dieser Weise auch uns helfen könnt, ins Leben zurück zu kehren“.
Deshalb lacht nicht über Professor Marušić, sondern – des Ernstes des Moments bewusst – sorgt dafür, dass ihr kein Hindernis werdet für den Gottesplan, die Rettung dieser Welt, die er so voreilig erschaffen hat, weder den Spaniern, noch Brasilianern, weder Franzosen, noch Kanadiern, weder Schweizern noch anscheinend so allmächtigen Amerikanern anzuvertrauen, sondern ausschließlich den Kroaten und ihren letzten Verbündeten im Kampf gegen Unsittlichkeit – den Brüdern und Freunden, den Serben. Tut also das, was euer Schicksal ist und rettet die Welt, mit der es so weit gekommen ist, dass sie von Kroaten und Serben gerettet werden muss. Rettet sie, denn es kann auch nichts mehr für die Welt getan werden, die selbst Gott nicht mehr von solchen Rettern retten kann!
Der Theater- und Radio Regisseur, Journalist und Autor Predrag Lucić wurde 1964 in Split geboren. Bekannt wurde er als Mitbegründer und Chefredakteur der Satirewochenzeitung Feral Tribune, die im ganzen jugoslawischen Raum Kultstatus genießt. Er schreibt Gedichte, Prosa und Drama. Veröffentlichungen in Zeitschriften „Fantom slobode“, „Ars“, „Sarajevske sveske“ und „Naše pismo“. Er ist Mitglied des kroatischen P.E.N.- Zentrums. Er lebt in Split.
Übersetzung: Sadija Kavgić-van Weert