„Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu, dass immer noch auf Erden für euch ein Fähnlein sei…“, mit diesen Worten besangen Angehörige der Waffen-SS ihre bedingungslose Treue gegenüber Führer und Vaterland. Gegründet von Hitler im Jahr 1925 in München als seine persönliche Schutzstaffel wurde die SS in den nächsten 20 Jahren zum Inbegriff des Bösen, ein Instrument des von Deutschland geführten Weltkrieges und des Völkermords an den europäischen Juden. Zur gleichen Zeit 1925/26 arbeitete der damals 23-jährige Max Ophüls, selbst jüdischer Abstammung am traditionsreichen Burgtheater in Wien. Nur ein Jahr später verlor er dort seine Anstellung und setzte das Künstlerleben in Deutschland fort. Mit seinem Masterwerk der Verfilmung von „Liebelei“ landete er 1933 einen großen Erfolg als Filmregisseur.
„Kaum dass der Film abgedreht war, ging der Reichstag in Flammen auf. Am Lietzensee erreichten Max Ophüls mehrere dringliche Telefonate…: „Jetzt ist der Zeitpunkt, um wegzugehen, Maxl. Ihr müsst unbedingt aufbrechen.“, lautete der Rat seiner Freunde. So erinnert sich sein Sohn, der Dokumentarfilmer Marcel Ophüls in seinem Buch „Meines Vaters Sohn“ (Calman-Lévy, 2014). Als die Familie Deutschland verließ, war er fünf Jahre alt.
Januar des Jahres 2018. Ein Nazi-Liederbuch bringt in Österreich Spitzenpolitiker der Regierungspartei FPÖ in Bedrängnis. In dem Liederbuch der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt wird u.a. der Holocaust gefeiert und die Notwendigkeit der Vernichtung einer weiteren Million jüdischer Menschen besungen. Die Burschenschaft Germania stellt sich stolz in die Tradition ihrer Väter, die keine Juden in ihren Reihen duldeten und begeistert von Hitlers Großdeutschem Reich waren. Viele ihre Mitglieder ersetzten nach 1933 schnell die Uniform ihrer Burschenschaft durch die Ledermäntel der Gestapo und die schwarze Uniform der SS. Dass es den deutschen und österreichischen Demokraten und Antifaschisten nach 1945 nicht gelungen ist, dem Treiben dieser antisemitischen, homophoben und frauenfeindlichen Verbände ein politisches Ende zu setzen, ist bitter. Fast ungehindert setzten sie ihre Aktivitäten fort. Es gehört heute zu ihrer Rekrutierungsstrategie, an den deutschen und österreichischen Universitäten ihren Beitrag zur Naziherrschaft zu verharmlosen.
Die Burschenschaft Germania war die einzige, die eine positive Antwort auf seine Anfrage gegeben hat, behauptet der junge Regisseur Lion Bischof von der Hochschule für Fernsehen und Film München. So filmte er das Treiben der schlagenden Verbindung Germania in München und machte daraus einen 77 Minuten langen Filmstreifen. Da die Burschenschaft letztendlich entschied, welches Filmmaterial freigegeben wurde, handelt es sich also um ihre Selbstdarstellung. Wichtig erschien ihnen u.a. die Darstellung eines Betriebsausflugs zu den Kameraden der Hamburger Germania. Diese wird vom Hamburger Verfassungsschutz seit 2014 als rechtsextrem und verfassungsfeindlich eingestuft.
„GERMANIA folgt einer Gruppe von jungen Burschenschaftlern in München zwischen strenger Etikette und derben Witzen, Trinkspielen und der ersten Mensur. Ein Coming-of-Age-Film über die Frage, was es heißt, heute ein Mann zu sein.“, heißt es in dem Katalog des Filmfestivals „Max-Ophüls-Preis“ dazu.
In Saarbrücken, der Geburtsstadt Max Ophüls, findet alljährlich ein Festival des jungen deutschsprachigen Films statt. Und in diesem Jahr, bei der 39. Festivalausgabe wurde in der Kategorie Dokumentarfilm eben dieser „Germania“ uraufgeführt und insgesamt vier Mal gezeigt. Dem Zuschauer wird, neben anderen Ritualen der Burschenschaft auch das anfangs zitierte, Treuelied der Waffen-SS vorgespielt. Ohne Hinweis, Kommentar oder Erläuterung. Da das rechtsradikale Denken dahinter nicht entlarvt wird, geht der Zuschauer ahnungslos aus dem Kinosaal. Abgesehen natürlich von den gleichgesinnten Kameraden, die auch in Saarbrücken aktiv sind und die den Sinn dieses Rituals verstehen. Die Saarbrücker „Germania“ wurde 1951 gegründet, zum Kampf gegen undeutsche Umtriebe an der saarländischen Universität. Sie versammeln sich bis heute unter dem Motto „Deutsch ist die Saar“, den Anfangszeilen der Hymne der saarländischen Nationalsozialisten.
Regisseur Lion Bischof selbst gibt auf Anfrage an, dass er kein Anspruch hatte, die ganze Wahrheit über „Germania“ zu zeigen. Die dreiköpfige Jury fand die Musik in diesem Film so passend, dass sie ihn mit dem Max-Ophüls-Preis für die beste Musik in einem Dokumentarfilm auszeichneten.
Begründung der Jury: Die Musik beginnt mit einer leisen Dissonanz, die im Laufe des Films nach und nach eingelöst wird: Zischende, geräuschhafte Klänge aus angedeuteten Blechblasinstrumenten, die ein unbehagliches Gefühl auslösen. Eine Filmmusik, die statt einer bloßen Gefühlsbestätigung die Rolle eines Regiekommentars übernimmt und dem Zuschauer dennoch einen Interpretationsraum lässt. Die Musik greift die Thematik des Films auf und übersetzt sie originär in eine in sich geschlossene, konsequente, reduzierte Klangwelt.